Die ersten Schritte zur Reformierung des russischen Systems für Rechnungslegung wurden im Jahre 1998 durch den Methodologischen Rat für Buchhaltungswesen beim Finanzministerium der RF unternommen. Es wurde ein Programm für die Reformierung des Buchhaltungswesens ausgearbeitet und genehmigt. Die alten Standards (in Russisch: РСБУ) wurden 2000 durch neue internationale Standards für Rechnungslegung ersetzt. Mit diesen Maßnahmen begann Russlands Integration seiner Standards in die globale Finanzwelt.
Erst am 07. Juli 2010 trat in Russland das Föderale Gesetz Nr. 208-ФЗ „Über die konsolidierte Rechnungslegung“ in Kraft. Damit wurde in Russland die gesetzliche Forderung eingeführt, die Internationalen Standards für Rechnungslegung (in Russisch: Международные стандарты финансовой отчетности – МСФО) von allen bedeutsamen Gesellschaften anzuwenden. Im März 2012 wurde durch die Verordnung des Finanzministeriums der Russischen Föderation vom 20.03.2012 Nr. 148 eine zwischenbehördliche beim Finanzministerium eingerichtete Arbeitsgruppe zur Abklärung der Probleme bei der Umsetzung von Internationalen Standards für Rechnungslegung in Russland eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe besteht aus Experten des Finanzministeriums, des Föderalen Dienstes für Finanzmärkte, der Zentralbank der RF sowie aus Buchhaltern und Juristen mit Praxiserfahrung. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Sammlung und Zusammenfassung von Erfahrungen bei der Umsetzung des Föderalen Gesetzes und in der Ausarbeitung von Empfehlungen an die Gesellschaften.
Im November 2012 veröffentlichte die Arbeitsgruppe ihren ersten Bericht ОП 1-2012 „Zusammenfassung der Erfahrungen über die Umsetzung der Internationalen Standards für Rechnungslegung in Russland“. Dem Föderalen Gesetz Nr. 208-ФЗ „Über die konsolidierte Rechnungslegung“ unterliegen alle Kreditgesellschaften, alle Versicherungsgesellschaften und sonstige Gesellschaften, deren Wertpapiere zum organisierten Wertpapierverkehr (an den Börsen) zugelassen sind, sowie die Gesellschaften, für die eine Aufstellung, Vorlage und Veröffentlichung der konsolidierten Rechnungslegung gesetzlich vorgesehen ist. Aus diesem Gesetz geht ebenfalls hervor, dass sowohl die Standards selbst als auch die vom Fonds für Internationale Standards für Rechnungslegung abgegebenen Empfehlungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen der Russischen Föderation und nach Genehmigung durch die Regierung der RF nach Abstimmung mit der Zentralbank der RF umzusetzen sind.
Gemäß Punkt 6 Artikel 4 des Föderalen Gesetztes 208-ФЗ vom 27.07.2010 sollen die Geschäftsberichte durch die Aktiengesellschaften in Russisch verfasst werden. Jene Firmen, die am internationalen Markt tätig sind, haben natürlich den Wunsch ihren Geschäftsbericht auch in einer anderen Fremdsprache, meistens Englisch oder Deutsch, zu verfassen um so auf dem internationalen Markt präsenter zu sein. Die russische Version gilt dabei als Original. Die Übersetzung eines Geschäftsberichtes aus dem Russischen oder ins Russische ist im Moment für die Übersetzer auch deswegen eine echte Herausforderung, weil das Prozedere für die Anerkennung der ersten 63 Internationalen Standards für Rechnungslegung und ihre Interpretationen zur Anwendung in Russland erst 2011 abgeschlossen wurden. Die Terminologie-Arbeit hat somit erst begonnen.
Zu den Internationalen Standards, deren Anwendung in Russland noch nicht anerkannt wurde, gehören auszugsweise: (http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/IFRS-in-Russia-QnA-2012/$FILE/IFRS-in-Russia-QnA-2012.pdf,20.02.2014):
• der Internationale Standard für Rechnungslegung (IFRS) 9 „Finanzinstrumente“
• das Dokument der Internationalen Standards für Rechnungslegung „Investitionsorganisation“ (Abänderung zu IFRS 10, IFRS 12 und IAS 27)
• das Dokument der Internationalen Standards für Rechnungslegung „Gegenseitige Verrechnungen von Finanzaktiva und Verpflichtungen“ (Abänderung zu IAS 32)
• das Dokument der Internationalen Standards für Rechnungslegung „Das Datum des Inkrafttretens von IFRS 9 und Veröffentlichung der Daten beim Übergang zum neuen Rechnungswesen“ (Abänderung zu IFRS 9 (2009), IFRS 9 (2010) und IFRS 7).
Wie es schon früher erwähnt wurde, sind die Standards für Rechnungslegung eine Sammlung von Unterlagen (Standards selbst und Interpretationen), die die Vorschriften der Rechnungslegung für die diejenigen bestimmen sollen, die wirtschaftlichen Entscheidungen treffen. Eine kennzeichnende Besonderheit dieser Standards ist, dass sie keine festgelegten Regeln haben. Das Konzept von Internationalen Standards basiert auf einigen wenigen Prinzipien, wie dem Prinzip der Periodenabgrenzung (accrual basis principle in Englisch, принцип начисления in Russisch), dem Going-Concern-Prinzip (going concern principle in Englisch, принцип непрерывности деятельности in Russisch), dem Vorsichtsprinzip (prudence principle in Englisch, принцип осторожности in Russisch), dem Prinzip der Relevanz (relevance principle in Englisch, принцип уместности in Russisch) und anderen. Die Idee dieser Prinzipien und vor allem deren nicht festgelegten Regeln liegt darin, dass die Verfasser des Jahresabschlusses den Sinn dieser Prinzipien selbst verwirklichen können, indem sie an sich selbst die Frage richten: „Was ist der Sinn (substance – eng.) dieses oder jenes Vorganges?“ Diese Vorgangsweise bestimmt eine Erfassung aller Hauptkategorien: Aktiva, Passiva, Kapital, Einnahmen, Ausgaben, Gewinn und andere. Im Vergleich zum russischen buchhalterischen Abrechnungsverfahren, wo das juristische Recht ein Kriterium für die Zuordnung der Aktiva ist, spielt in IFRS eine große Rolle, wem diese Aktiva Einkommen verschaffen ohne die entsprechenden Aktiva im Eigentum zu haben.
Eine andere Besonderheit der IFRS ist, dass die kompetente Interpretation des Buchhalters (professional judgment –eng.) den buchhalterischen Vorschriften selbst vorgeht. Diese Praxis war für russische Verhältnisse vor der Umsetzung der IFRS absolut unvorstellbar und stellte ein ernstzunehmendes Hindernis bei der Umsetzung der neuen Internationalen Standards dar. Jeder Experte im russischen buchhalterischen Abrechnungsverfahren sollte quasi sein buchhalterisches Verständnis umstrukturieren. Jeder Verfasser des Jahresabschlusses übernimmt die Verantwortung, objektive zuverlässige Angaben über die Finanzlage des Unternehmens zu erstellen. Aus dieser Perspektive übernimmt jeder Übersetzer die Verantwortung diese zuverlässigen und objektiven Angaben dementsprechend wiederzugeben und dabei die wahre Stimmung und Ideen des Geschäftsberichtes nicht zu verfälschen. Es wäre daher ideal, wenn das Unternehmen kontinuierlich die Sprachdienstleistungen eines und desselben bewährten Übersetzers in Anspruch nimmt und auf wechselndes Sprachdienstleistungspersonal möglichst verzichtet. Dies würde dem Übersetzer ermöglichen, die Entwicklung und die Veränderungen des Unternehmens zu verfolgen und entsprechend verstehend zu übersetzen.
Neben den eingeführten Internationalen Standards für Rechnungslegung in Russland stellen einige Aktiengesellschaften ihre Jahresabschlüsse nach US GAAP Standards auf. Dabei geht es im Wesentlichen um die Anwendung durch Gesellschaften, die einerseits diese Standards selbst ausgewählt haben und andererseits die Absicht haben, eigene Daten in den Übersee-Ländern, vornehmlich USA, zu veröffentlichen. Die explizite Anwendung von US GAAP Standards in Russland ist aus heutiger Sicht gesetzlich nicht vorgesehen.
Zusammengefasst ist es mir wichtig zu erwähnen, dass manche Mittel- und Großunternehmen den baldigen Übergang zu den Internationalen Standards für Rechnungslegung ohnedies erwarteten. Für die Großunternehmen, die sich daher schon seit einigen Jahren mit den neuen Standards gründlich auseinandersetzten, war der Umstieg nicht tragisch. Für die mittleren börsennotierten nicht routinierten Unternehmen ist dieser Umstieg allerdings eine neue und komplexe Herausforderung. Die Arbeit für die Umsetzung der Internationalen Standards hat erst begonnen. Die letzten Jahre zeigen deutlich, dass sich daraus viele Probleme ergeben. Einerseits sind die russischen Gesetze immer noch nicht reif genug, um den Gesellschaften einen reibungslosen Umstieg zu sichern, anderseits unterliegen auch Europäische Gesetze ständig verschiedenen Änderungen und Anpassungen, sodass schlussendlich das russische Gesetzgebungssystem es nicht schafft, in der eigenen Gesetzgebung mit Europäischem Niveau Schritt zu halten. Zum jetzigen Zeitpunkt bleibt daher den Aktiengesellschaften nichts anderes übrig, als sich an immer neue Situationen zu gewöhnen, zu lernen und instabile Verhältnisse zu akzeptieren.